Die Einführung einer Tobin-Steuer ist eine Hauptforderung der Organisation ATTAC. Mit Christophe Aguiton, ihrem Generalsekretär, sprach SÜDWIND-Mitarbeiter Christian Felber anläßlich seines Wienbesuches Anfang Februar.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Es geht uns darum, die soziale Basis zu stärken und die Kontrolle über die Globalisierungsprozesse wiederzuerlangen. Der Abbruch der MAI-Verhandlungen war ein erster wichtiger Erfolg. Sozialer Widerstand kann selbst große Konzerne in die Knie zwingen, das haben wir am Beispiel Shell erlebt. ATTAC sagt nicht, wir müssen wieder regulieren, ATTAC sagt, wir wollen über unsere Zukunft selbst entscheiden. Unsere konkreten Ziele: Besteuerung der globalen Finanztransaktionen mit der Tobin-Steuer, Kampf gegen die Strukturanpassungsprogramme des IWF, Schuldenerlaß für die armen Länder, Kampf gegen MAI und NTM (Neuer Transatlantischer Markt zwischen den USA und der EU).
Welche Aktionen hat ATTAC bisher gestartet?
Die erste große Aktion war der Gegengipfel zum Davoser Weltwirtschaftsforum gemeinsam mit drei anderen Netzwerken: der Anti-MAI-Bewegung, dem Forum für Nord-Süd-Alternativen sowie einer Vereinigung von 2.500 Umweltorganisationen, die aus Rio hervorgegangen ist. Von 24. bis 26. Juni wird ein großes internationales ATTAC-Treffen in Paris stattfinden, 2000 Leute aus aller Welt werden Erfahrungen austauschen, von den französischen „Sans papiers“ bis zu den brasilianischen „Sem terra“. Wir werden eine nationale Petition zur Tobin-Steuer verabschieden und eine Schuldenerlaßpetition für das Jahr 2000.
Was genau ist die Tobinsteuer?
Die Idee dazu geht auf den US-amerikanischen Ökonomie-Nobelpreisträger James Tobin zurück, der in den siebzigern die stark zunehmende Devisenspekulation mit einer geringfügigen Ankaufsteuer (von einem Promille) bremsen wollte. Für Investitionen in die Realwirtschaft wäre das kein Problem. Das Geschäft der Finanzspekulanten würde dagegen zu einem großen Teil vermasselt.
Warum wurde sie zum Steckenpferd von ATTAC?
Die Wirtschafts- und Finanzkrisen nehmen überhand, seit Anfang der Siebzigerjahre die Wechselkurse freigegeben wurden und somit die Devisenspekulation lukrativ wurde. 1987 krachte die Börse, 1992 das Europäische Währungssystem, 1994 schlitterte Mexiko in die Krise, 1997 erwischte es Asien, und nun ist Brasilien an der Reihe. Das soll so nicht weitergehen.
Die Kritiker argumentieren, daß die Tobin-Steuer die jüngsten Finanzkrisen nicht hätte verhindern können.
Das ist nicht ihr Ziel, sie soll nur Sand ins Getriebe der Spekulation streuen. Ganz klar, wer 50 Prozent Rendite kriegt, den kratzen 0,1 Prozent Spekulationsabgabe nicht. Davon abgesehen ist die Wiederaneignung demokratischer Räume wichtig. Wir wollen die Finanzmärkte kontrollieren. Sie sollen nicht mit uns machen dürfen, was sie wollen.
Wenn die Tobin-Steuer nun keine Finanzkrisen verhindern kann, was schlagen Sie vor?
Die Tobin-Steuer ist ja nicht die alleinige Lösung. Zusätzlich befürworten wir Kapitalverkehrskontrollen nach dem Vorbild Chiles: Ausländische Investoren mußten 30 Prozent der Investitionssumme für ein Jahr bei der Nationalbank hinterlegen. Das garantierte, daß die Investition eine langfristige war und in die reale Wirtschaft floß. Kurzfristiges Spekulationskapital wurde abgeschreckt. Man beachte, daß das keine linke Idee war. Chile ist ein neoliberales Land. Auf internationalen Druck hin wurde diese gut funktionierende Maßnahme allerdings wieder gekündigt.
Außerdem unterstützt ATTAC den Vorschlag des Ökonomen Howard M. Wachtel, der eine einheitliche Gewinnsteuer für multinationale Konzerne in der Höhe von 20 oder 30 Prozent vorschlägt. Dieses Geld soll in denselben Topf wie die Tobin-Steuer und somit den Armen zugute kommen.
Gegner behaupten weiters, daß eine gemeinsame Einführung selbst in der gesamten OECD nichts brächte, weil die Spekulanten in Off-shore-Zentren ausweichen würden.
Die große Mehrheit der spekulativen Geschäfte wird mit Finanzprodukten der Industrienationen gemacht. Wenn man die an der Quelle besteuert – das läßt sich technisch machen – ist es nicht nötig, daß die ganze Welt mitzieht. Einige Ökonomen meinen, daß die Einführung in den G7-Staaten vorläufig genüge. Wir sind der Meinung, daß die EU den Anfang machen und als weltweites Vorbild wirken sollte.
Wie steht ATTAC zu den Pensionsfonds?
Hier liegt eine Vorspiegelung falscher Tatsachen vor. Die Regierung behauptet, daß es ein demographisches Problem gebe, daß das derzeitige Umlageverfahren unfinanzierbar werde und daß die Lösung in den Pensionsfonds liege: Man brauche nur jetzt einzuzahlen und erhalte dann später sein angelegtes Geld plus saftige Zinsen zurück. Das ist schlicht falsch. Denn der Wertanstieg der Aktien ist virtuell, er beruht auf keiner realwirtschaftlichen Basis. Die jetzigen Traumrenditen sind langfristig keinesfalls erzielbar, die Kurse müssen früher oder später auf ein realistisches Niveau zurück. Geld vermehrt sich nicht von selbst, letztendlich sind es immer die arbeitenden Menschen, die Wert schaffen und für diejenigen bezahlen, die nicht (mehr) arbeiten.
Was ist die Lösung?
Die Beibehaltung des Umlageverfahrens. Wir sind gegen die Pensionsfonds.
Und das demographische Problem…
… ist ein herbeigeredetes. Noch gibt es keines. Vielleicht ein kleines in 15 Jahren. Aber da kommt es vorher noch zu Einbrüchen bei den Neupensionen durch den Zweiten Weltkrieg.
Welche Chancen auf Verwirklichung der ATTAC-Ziele sehen Sie?
Wir stehen erst am Anfang. Die Gewerkschaften befinden sich tief in der Krise. Auf der anderen Seite zeigt auch der Kapitalismus Anzeichen von Schwäche. Die kritischen Stimmen bezüglich deregulierter Finanzmärkte mehren sich. Zum Beispiel hat ein Veranstalter des Weltwirtschaftsforums von Davos gefordert, endlich die Tobin-Steuer zu diskutieren.
Wir danken für das Gespräch.
Christian Felber ist freier Journalist und Übersetzter. Er lebt in Wien.
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